Eine hölzige Kapuzinerpredigt
Von Benedikt Loderer, Stadtwanderer
(15.5.01)
Liebe Brüder und Schwestern im Holze,

"Besonders stark könnte der Holzabsatz gesteigert werden, wenn es gelänge, im Konstruktionsbereich Marktanteile zu gewinnen. Denn für die Konstruktion werden erhebliche Holzmengen benötigt. " Also sprach das Förderprogramm Holz 2000 in seiner Studie Entscheidmotive und Kenntnisse zu Holz im Bauwesen und bei Möbeln. Wir wollen heute dieser Wahrheit etwas nachgehen und werden unterwegs zehn schmerzliche Wahrheiten antreffen.

Doch zuerst eine Beobachtung, eine alltägliche Geschichte aus dem Holzleben. Wo zwei oder drei in Holzes Namen versammelt sind, da herrscht die Klage. Lothar! seufzen die einen und meinen Preiszusammenbruch, Importholz! stöhnt der Nachbar und denkt am seinen Marktanteil, Imageprobleme! murrt ein Dritter und gehört damit schon zu den Intellektuellen im Walde.

Im Gegensatz dazu sind die gewählten Diener der Holzes alle positiv und aufgestellt. Lignum, nun in Ehegemeinschaft mit der schweizerischen Holzwirtschaftskonferenz lebend, hat uns mit neuer Freude beschert und gibt damit den offiziellen Ton an. Zehn Argumente für den Holzbau. Aus dieser frohen Botschaft zitiere ich nur zwei Sätze: "Holz hat hundert Gesichter, und es gibt hundert Argumente dafür. Die zehn besten sind in dieser Schrift zusammengefasst." Ich will Euch, liebe Brüder und Schwestern im Holze, in dieser Predigt auch zehn Argumente vortragen, jedes begleitet von einem Bild. Wort und Bild sollen Euch die Augen ausreiben und die Ohren putzen, damit Ihr gemahnt und getröstet werdet, was Ihr beides bitter nötig habt.

Woher kommt dieser auffallende Unterschied? Die Arbeiter am Holze, im Wald, in der Werkstatt, auf dem Bauplatze klagen, ihre Oberen in den Verbänden und den Bundesstellen hingegen strömen professionellen Optimismus aus. Das stammt von den Eigenschaften des Holzes selbst und ihren Einwirkungen auf alle, die sich mit dem Holze von Berufs wegen beschäftigen. Der Werkstoff formt den Menschen. Wie sich die Hölzigen geben, wie sie sich selbst verstehen, das ist reine Materialkunde. So wie das Holz seid Ihr. Lasst mich euch die zehn Eigenschaften vorstellen, die dabei prägend sind. An Eurem Holze werdet Ihr euch erkennen.

Erste Eigenschaft: Holz ist bodenständig. Welche Bilder steigen in Eurem Geiste auf, wenn Ihr an Holz denkt? Es sind keine Sperrholzplatten, keine Nagelbinder und keine Verbundkonstruktionen, nein, es ist das schweizerische Glücksgehäuse, das Chalet, das Euch vor dem inneren Auge steht, ein Bergbauernhaus, eine Ikone, ein Sehnsuchtsapparat. Beim genaueren Hinsehen wird unweigerlich der Begriff "Tradition" genannt werden. Die Tradition, darauf seid Ihr Hölzigen stolz, sie gibt Euch Halt und Selbstvertrauen. Sie hilft Euch, sich in einer verwirrenden Welt zurechtzufinden. Nur, liebe Brüder und Schwestern im Holze, was aber ist denn eigentlich die Tradition?  
Sie ist ein Satz von bewährten Lösungen als Antwort auf sich wiederholende Probleme. Das Chalet ist keine Formerfindung, es ist ein über Generationen gewachsenes Erwerbsinstrument der Bergbauernfamilie im endlosen Lauf der Jahreszeiten. Darum ist es auch eine Konstruktion, die alle gescheiterten Versuche enthält, indem sie ausgeschieden wurden. Nur, wo sind heute die sich wiederholenden Probleme? Nicht das Bauernjahr müssen wir bewältigen, sondern den ständigen Wandel. Wo es keine Wiederholung gibt, kann keine Tradition wachsen. Die Tradition ist tot. Jedenfalls auf dem Bau. Jede Baustelle beweist das durch ihr Gehetze alle Tage. Über Generationen gewachsen, ein übler Scherz, im Takt des gedrängten Bauprogramms hingewürgt, das ist der heutige Zustand. Die wenigen Ausnahmen bestätigen die bittere Regel. Darum blieb von der Tradition nur noch das Bild übrig, die eingefrorene Form. Die allerdings konservieren wir mit Inbrunst. Einpassung ins Ortsbild nennt das die Bauordnung. Und hier beweist sich, wie bodenständig das Holz ist. Je altmodischer es daher kommt, desto besser passt es sich ein. Wo hinein, keiner fragt, warum hinein, keiner will es wissen. Es ist reiner Bilderhandel. Was alt aussieht, ist geadelt. Nichts ist zwar mit den traditionellen Werkzeugen verarbeitet und schon gar nichts aus den traditionellen Materialien gefertigt, alles sieht aber aus wie alt. Erst beim genaueren Hinsehen entdeckt man den Schwindel: Es ist keine Tradition, es ist blosse Folklore. Ihr aber, liebe Brüder und Schwestern im Holze, seid unter den Hauptschwindlern. Ihr ladet Schuld auf Eure hölzernen Seelen und müsst täglich dafür büssen: Niemand glaubt Euch, dass ihr modern seid.

Das hat mit der zweiten Eigenschaft des Holzes zu tun: Holz ist handwerklich. Ihr habt die besten Maschinen, die raffiniertesten Apparate und die klügsten Computer. Ihr produziert rasant, rasch und rapide, kurz: Ihr seid effizient. Und jedes Jahr werdet Ihr noch besser, Eure Produktivität wächst unaufhaltsam. Ihr seid die Vorfabrikationshelden der Bauplätze, Ihr versteht von zeitgemässer Bauproduktion mehr als aller Mauerer und Betonmischer, Ihr seid moderner als alle Blech- und Röhrlibieger.

Wie kommt es aber, dass man Euch das nicht ansieht? Warum denkt kaum jemand an einen erfinderischen Zeitgenossen, wenn er einen Schreiner, Zimmermann oder Säger sieht? Weil das Holz so handwerklich macht, vor allem in den Köpfen. Ist es nicht eigentümlich? Bei euer Produktion seid ihr von allem Neuen begeistert und offen, in Eurem Leben hingegen seid Ihr konservativ und abwehrend. Euer hervorragender technischer Verstand hat mit Euren Lebensgefühlen nichts zu tun. Ihr baut Revolutionäres und gehört zu den eifrigsten Strukturerhaltern. Ihr erfindet und verhindert, Ihr erneuert und veraltet, Ihr modernisiert und konserviert. Ihr seid nicht konsequent, Ihr seid Euren Maschinen nur im Kopf, nicht aber im Herzen gewachsen. Ihr beherrscht einen zeitgemässen, industriellen Produktionsapparat und denkt wie traditionelle Handwerker. Ist Euch noch wohl?

Wenn Euch etwas mulmig sein sollte, so hat das mit der dritten Eigenschaft zu tun: Holz ist eidgenössisch. Damit ist keineswegs die eidgenössische Forstgesetzgebung gemeint, deren segensreiche Wirkung Euch allen, liebe Brüder und Schwestern im Holze klar ist. Ich weiss auch, wie lächerlich gering die Subventionen sind, die der Bund für die Holzwirtschaft aufwendet, vor allem wenn man sie zum Beispiel mit der Landwirtschaft vergleicht. Und doch: Warum erlebe ich die Hölzigen als Klagemeute? Warum treten sie als die armen Verwandten auf, warum sind sie immer Opfer, nie Täter?
Gewiss, sie sind nicht die einzigen, ein Gewerbler, der nicht jammert, hat keine Freude mehr an seinem Beruf. Und ebenso gewiss: die Probleme sind echt, Im Schweizer Wald wächst jede Sekunde 0,3 Kubikmeter Holz nach, und ein Drittel davon hat keine gesicherte Zukunft. Die Konkurrenz ist hart, das Wirtschaftsleben gemein und die freie Wildbahn voller Tücken. Das sind die facts of life, und als freie Schweizer und erprobte Unternehmer habt ihr das akzeptiert.

Wirklich? Eben doch nicht. Ihr sehnt euch nach der geschützten Werkstatt. Zwar seid Ihr für das freie Spiel der Kräfte, aber dem müssen von Bundes wegen Schranken gesetzt werden. Das ist durchaus in Ordnung, Teil der eidgenössichen Zustände, die wir Wahl für Wahl bestätigen. Nur: Wie gehe ich mit dem Klagenden um? Vielleicht weckt er mein Mitleid, doch dann behandle ich ihn wie einen Armengenössigen. Und armengenössig will ja von Euch niemand sein. Besser wäre es, die Klage weckte meinen Gerechtigkeitsinn. Dann wäre es angemessen, den Klagenden für eine Leistung zu entschädigen. Welche denn? Das Spannen der Holzkette, oder gar ihr Durchhängen? Ich bin ratlos. Ihr habt mich bisher nicht überzeugt. Ich traue Euren Klagen nicht, weiss aber wohl, da ist etwas dran.

Es fragt sich nun, warum Ihr nicht überzeugend seid. Weil Ihr in diesem eidgenössischen Klageton redet, diesen Jargon der Interessenvertreter sprecht, dem ich die Forderung glaube, aber die Begründung nicht. Vielleicht müsst Ihn neu reden lernen, damit ihr verständlich werdet.

Holz ist unheimelig. Das ist seine vierte Eigenschaft. Ich rede nicht vom Tropenholz und von der Deklarationspflicht. Das gehört nicht in eine anständige Predigt. Auch über das Wohngift, das in den Spanplatten sitzt, kein Wort. Welchen Leim Ihr verwendet und welche Holzschutzmittel, wisst Ihr besser als ich. Ich bin nicht berufen, Euch da ins Geschäft zu reden. Ein jeder kehre vor seiner Tür. Eher schon möchte ich vom konstruktiven Holzschutz reden, aber auch davon versteh ich zu wenig. Genauer: Ihr soviel mehr, dass ich mich lächerlich machte. Dass viele Leute dem Holz nicht trauen, weil sie nicht von der Überzeugung abzubringen sind, es faule, das ist ein psychologisches Problem und gehört nicht zu meinem Fachgebiet. Hier muss ein Überzeugungsdoktor helfen. Dass aber Holz heimelig ist, macht es endgültig unheimelig. Dass es eine Branche zugelassen hat, ja schlimmer noch, es förderte, mit diesem Werbespruch identifiziert zu werden, spricht nicht für ihre praktische Vernunft. Holz auf Heimat einzugrenzen, ist eine emotionelle Verarmung, denn damit werden alle andern Gefühle, die Holz auch noch auslösen könnte, erstickt. Für alle jene, denen nur in der Wohnstube wohl ist, mag das genügen, aber, liebe Brüder und Schwestern im Holze, es gibt eine Welt ausserhalb der Wohnstube, und sie ist grösser, als der Blick durch die beschlagenen Scheiben des kleinen Fensters vermuten lässt. Mit der Regression aufs Heimelige stelltet Ihr Euer Licht unter den Scheffel. Ihr habt alle Vorurteile, die ich Euch bisher geschildert habe, damit bestätigt und verfestigt. Manchmal, liebe Brüder und Schwestern im Holze, seid Ihr mir etwas unheimelig.
Wir kommen zur fünften Eigenschaft: Holz sieht alt aus. Im Werbejargon ausgedrückt heisst das: Holz hat ein Imageproblem. Der Stararchitekt Jacques Herzog würde es pointierter sagen: Holz ist nicht sexy. Das wissen alle unter Euch, die es auch wissen wollen.

Warum das so ist, ist aus den schon genannten Eigenschaften des Holzes mindestens teilweise zu erklären. Aber Ihr dürft Euch nicht damit trösten, dass es sozusagen naturwüchsig dazu gekommen sei. Nein, das Imageproblem ist ein Produkt, hergestellt durch alle Beteiligten an der Holzkette. Da sich die Intelligentesten auf dem Bau immer als Waldschratte und Alpöhis dargestellt haben, hat ihnen das Publikum das auch geglaubt. Und Ihr Euch selber auch, was noch schlimmer ist. Das wäre nicht nötig gewesen, hätte allerdings eine Änderung der Handwerkermentalität erfordert. Aber ich sage Euch: Keiner wird in das Reich des hölzernen Erfolgs eingehen, der nicht zuvor sein Oberstübchen neu vermisst.

Ihr werdet, liebe Brüder und Schwestern im Holze, nun genug haben von meinen Mahnungen und Vorwürfen und hofft auf die versprochenen Tröstungen. Wohlan! Noch habt keinen Grund zur Verzweiflung, noch spriessen grün Äste am Baum der Hoffnung, noch gibt es Rettung für die Hölzigen. Denn die sechste Eigenschaft verspricht die Erlösung: Holz ist nachhaltig. Die Tatsachen sind bekannt. Es gibt in der Schweiz keinen andern Werkstoff, der nachhaltiger wäre als das Holz. Ja,selbst der Begriff der Nachhaltigkeit stammt aus dem Denken und der Sprache der Förster. Vielleicht müssen einige unter Euch zwar noch ein paar Hausaufgaben nachholen und den Unterschied zwischen ökologisch und nachhaltig lernen, trotzdem: Holz ist nachhaltig, und das ist das alles überstrahlende Argument für seinen Gebrauch.

An Euch, den Hölzigen, ist es, diese Tatsache den übrigen Schweizern bewusst zu machen. Allerdings müsst Ihr damit bei Euch selbst beginnen. Denn von den drei berühmten Faktoren, die die Nachhaltigkeit bestimmen: ökologisch, ökonomisch und sozial verträglich, hat man von Euch vor allem die ökologischen Argumente gehört. Mit Recht. Aber von den andern muss auch gesprochen werden.
Seid Ihr ökonomisch auf der Höhe der Zeit? Vernichtet Ihr Euch nicht selber durch den erbarmungslosem Konkurrenzkampf, dem Ihr Euch hingebt? Könnt Ihr überhaupt richtig rechnen? Auf eigenem Land in längst abgeschriebenen Gebäuden, im Familienbetrieb wurstelt Ihr lieber, wo ihr rechnen solltet? Wisst Ihr, liebe Brüder und Schwestern im Holze, eigentlich, was ein Businessplan ist? Ihr solltet die Nachhaltigkeit Eurer Bilanzen verbessern. Nur wer rentiert, kann nachhaltig sein.  
Dann nämlich werdet Ihr auch sozialverträglich. Dann bietet Ihr auch Arbeitsplätze an, die die Intelligenten anziehen, Leute die mehr können und mehr wollen als hobeln und nageln. Wie steht es mit der Weiterbildung? Wer von Euch hat im letzten Jahr mehr dafür getan als die Swissbau besucht und dort die Degustationen studiert? Ja, liebe Brüder und Schwestern im Holze, Ihr dürft Euch nicht selber zu den Trotteln auf dem Bau machen, dafür seid Ihr zu klug, zu clever und kundig. Aber es liegt an Euch selber, dazuzulernen. Und selbstverständlich braucht es auch Lehrstühle für Holzbau an den Eidgenössischen Technischen Hochschulen. Doch sie werden Euch nicht retten, sie müssen die Spitze der Pyramide sein, zu der Ihr die Basis liefert. Das Holz ist nachhaltig. Sind es die Hölzigen auch? Die Erzeuger, Verarbeiter, Vertreiber des nachhaltigsten aller Baustoffe, sind sie so nachhaltig wie ihr Holz? Leben sie zum Beispiel nachhaltig? Täusche ich mich? Waren es nicht genau die Hölzigen, die gegen alle grünen Vorlagen stimmten? Haben nicht die Hölzigen konsequent jene Leute in die Parlamente gewählt, die gegen alle nachhaltigen Projekte waren? Anders herum: Wie soll ich die frohe Botschaft vom nachhaltigen Holz glauben, wenn ihre Verkünder sich in ihrem eigenen Leben gegen die Nachhaltigkeit stemmen? Wenn die Nachhaltigkeit als blosses Verkaufsargument daherkommt, müsst Ihr Euch nicht wundern, wenn sie Euch niemand richtig abkauft. Solange Euer Ziel die blosse Steigerung des Holzverbrauchs ist, solange bleibt die Nachhaltigkeit eine blosse Behauptung. Solange die Hölzigen, Ihr lieben Brüder und Schwestern, keine Überzeugungstäter der alltäglichen Nachhaltigkeit seid, solange bleibt sie ein reines Werbeargument. Seine Streuverluste sind hoch und seine Reichweite gering. Ihr erreicht nur die schon Überzeugten. Wie glaubwürdig verkörpern die Hölzigen die Nachhaltigkeit? Das ist die Frage. Als lebende Verkörperung der Nachhaltigkeit jedoch seid Ihr unschlagbar, denn Euch hilft ja das Holz, und das ist nachhaltig.

Das führt zur siebenten Eigenschaft: Holz ist erfinderisch. Das wisst Ihr längst. Nie zuvor hat der Werkstoff Holz so grosse Fortschritte gemacht, nie zuvor haben die Tüftler aller Art das Holz dermassen neu erfunden wie in den letzten Jahren. Niemals zuvor war mit Holz je soviel möglich. Fassen wir zusammen: Holz ist ein moderner Werkstoff, so modern wie Stahl, Aluminium, Glas oder Beton. Dazu kommen noch alle neuen Verarbeitungsmethoden, Computer aided Manufacturing sei hier nur als stellvertretendes Stichwort genannt. Es sind neue Dinge möglich, unerwartete, umwälzende.

Woher kommt es, dass manchmal der Eindruck aufkommt, die Hölzigen hätten gar keine Freude am erfinderischen Holz? Warum verdächtige ich die Hölzigen des zähen, diffusen, unausgesprochenen Widerstands gegen die Neuerfindung ihres Werkstoffs Holz? Lieben sie Holz nur in seiner primitivsten Form als Brett oder Balken? Können sie mit den neuen Aggregatszuständen des Werkstoffs nicht oder noch nicht umgehen? Hoffentlich täusche ich mich. Man könnte auch weniger suggestiv fragen: Ist die Holzbranche für Neuerungen offen? Herrscht in der Holzkette Aufbruchsstimmung und Erfindergeist? Sind die Hölzigen elektrisiert, und stehen sie unter Erfinderstrom? Diese Fragen stellen, liebe Brüder und Schwestern im Holze, heisst leider auch sie beantworten.  
Trotzdem: die achte Eigenschaft lässt aufhorchen: Holz wird modern. Selbstverständlich, werdet Ihr denken. Was nachhaltig ist und neu erfunden, muss ja modern sein. Allerdings heisst der Satz wird und nicht ist modern. Man muss also das Holz modern machen. Fragen wir doch einmal, wer das Holz modern machen wird? Diesmal seid nicht Ihr es, es sind die Architekten.

Holz wird modern kann auch mit Holz wird Mode übersetzt werden. Holz ist in den letzten Jahren durchaus zu einer Architektenmode geworden, vor allem in der Deutschschweiz. Hast du dein Holzhaus schon gebaut? fragt der eine Architekt den andern. Wenn ich hier Holzhaus sage, so sind nicht die mit Holz verkleideten Mischkonstruktionen im ländlich-sittlichen Stil gemeint, sondern zeitgenössische, aus Holz gebaute Häuser. Keine dekorierten Bilder, sondern konstruierte Gebäude. Ein Holzhaus muss man konstruieren, ein gemauertes kann man zeichnen, hat Paul Artaria schon gewusst, einer der Gründerväter der modernen Holzarchitektur in der Schweiz. Viele von Euch mögen die Nase rümpfen, wenn von Mode die Rede ist. Doch achtet sie nicht gering, sie hat zwei Merkmale: Niemand kann ihr entgehen, auch ihre Verächter nicht, und sie kann Vorreiterin sein. Die architektonischen Holzhäuser, die Ihr zuweilen mit missmutigen Staunen anseht und kernig kommentiert, sind Vorboten. Sie eröffnen den Reigen, ihnen werden Bauten folgen, die unter Fachleuten mit dem Begriff "normal" bezeichnet werden, die Holzhäuser der nächsten Generation. Die heutigen Neuheiten, vor allem wenn sie von den Stars entworfen sind, liefern die Vorbilder, die von den Starlets und gewöhnlichen Hölzigen anschliessend nachgeahmt werden.

Und da hat die Holzwirtschaft ja bereits zwei Marksteine gesetzt: die Försterschule in Lyss und die Holzfachschule in Biel. Denn gute Holzbauten brauchen gute Bauherren. Wenn Ihr, meine Brüder und Schwestern, den Holzbau voranbringen wollt, so sorgt dafür, dass die Bauherren solche bei fähigen Architekten auch in Auftrag geben. Die beste Förderung der Holzarchitektur ist der Auftrag. Ich bin sicher, dass hier im Saal kommende Bauherren sitzen. Die wissen nun, was sie zu tun haben. Aber bitte nicht beim Schwager, Militär-, Turnvereinskameraden oder beim Mitrotarier aus Bequemlichkeit das Übliche bestellen, nein, einen fähigen Architekten beauftragen oder, wenn die Aufgabe von genügendem Gewicht ist, einen Wettbewerb veranstalten. Eine Regel dürft Ihr bei Architektenaufträgen nie vergessen: Filz baut immer zweitklassig. Wer zweitklassig bauen lässt, beweist damit seine eigene Zweitklassigkeit.  
Die neunte Eigenschaft ist ursprünglich selbstverständlich, und doch ist sie neu: Holz ist mehrstöckig. Was für die traditionellen Walserhäuser, zum Beispiel, fraglos gültig war, musste im letzten Jahrzehnt neu erfunden werden: der Geschossbau mit Holz. Da es seit kurzer Zeit in der Schweiz in allen Kantonen gleich brennt, sind die verhindernden Brandvorschriften gelockert worden, genauer: die Vernunft hat einen Teilsieg errungen.

Damit hat sich für den Holzbau ein neues Feld aufgetan, das gelobte Land jenseits des Hüsligebirges. Alle wollt Ihr den Holzverbrauch steigern, alle habt Ihr herausgefunden, dass sich dies am einträglichsten im Hochbau machen lässt. Da gilt es Abschied zu nehmen und zu neuen Märkten vorzustossen. Es gibt ein Bauen nach dem Hüsli. Darum braucht es heute von den Hölzigen Anstösse für den Geschosswohnungsbau. Impulse für grosse, komplexe, mehrschichtige Projekte. Was nicht mehr geschehen darf, ist die Standardantwort: Das geht nicht. Das ist eine Sünde wider den Holzbau, genau so wie die Spruchweisheit: Das haben wir noch nie so gemacht. Was ihr nicht macht, machen andere, aus Stahl oder Kunststoff vermutlich.

Dahinter verbirgt sich eine zuweilen peinliche Frage: Wie steht's mit Eurer Kompetenz für anspruchsvolle, mehrgeschossige Bauten? Wer von Euch kann das wirklich? Von der Weiterbildung habe ich ja schon gepredigt, trotzdem: Wer von Euch ist mehrgeschossig?

Nach der peinlichen noch eine zudringliche Frage. Wer von euch wohnt in einem Holzhaus? Und wer in einem mehrgeschossigen? Die Respektabilität eines Holzhauses muss sich immer noch gegen das Schreck- und Feindbild Baracke behaupten. Nur: Wer, wenn nicht die Hölzigen, soll den Holzhäusern zu sozialem Ansehen verhelfen? Welcher Zimmermann ist glaubwürdiger? Der, der in einem sittlich-ländlichen Dekohüsli wohnt oder der, der in einem mehrgeschossigen Holzbau lebt? Es ist nicht meine Absicht, Eure Häuser und Wohnungen zu schmähen, nur gestattet mir die zudringliche Frage nochmals in anderer Form: Welche dieser von Euch hölzigen Brüdern und Schwestern bewohnten Häuser, welche Eurer Wohnungen ist ein Beitrag zur Eroberung neuer Absatzmärkte für das Holz? Bedenkt dabei wohl: neuer, anderer, einträglicherer Märkte. Nicht einfach noch mehr von dem, was Ihr schon kennt. Wie man es auch dreht und wendet, Ihr seid es, die für die Glaubwürdigkeit des Holzbaus verantwortlich seid.  
Zum Schluss noch die zehnte Eigenschaft: Holz git kener Spriise. Was ist das Gegenteil des Chalets? Die hölzerne Moderne, auch die gegenwärtige, die ja eine Fortsetzung, ja Verschärfung jener aus der Zwischenkriegszeit ist. Das Chalet in den Köpfen verkörpert Usprung, Urschweiz, Urkraft, Uhrahnen, Urochs, Urgrochs. Doch Guisan ist tot, liebe Brüder und Schwestern im Holze. Und: Das Chaletholz gibt immer Spriisen. Jenes Holz aber, das die zeitgenössischen, genauer: zeitgemässen Architekten verwenden, git kener Spriise. Hier wird Holz als modernes Baumaterial ernst genommen. Holz, das ist heute weit mehr als die roh gesägten Bretter und Balken. Die Materialechtheit ist längst zur Sentimentalität geworden. Holz ist ein technisches Produkt. Entholzt das Holz! Auf den Bauplätzen, aber wichtiger noch in den Köpfen, in Euren Köpfen, liebe Brüder und Schwestern. Das Holzhaus muss neu erfunden werden, der Anfang dazu ist gemacht. Holz darf nie holzig daher kommen. Holz muss endlich den Chalet- und Stallgeruch loswerden.

Holz muss verfremdet, muss radikalisiert werden. Die Möglichkeiten dieses Materials liegen weit jenseits von Schwartenbrett und sandgestrahlten Balken. Die zeitgemässen Architekten verwenden Holz nie sentimental. Es ist ihnen ein zarter Lamellenvorhang, sie brauchen es als lasierte, glänzende Haut, als blanke, polierte, glasgleiche Platte. Sie laden das Holz mit neuen Bezügen auf, treiben seine ästhetische Entwicklung weiter. Sie erlösen es von seiner verwurmten Geschichte, führen das Holz auf ein höheres kulturelles Niveau. So wird endlich aus Sentimentalität Poesie.

Denn das ist der wichtigste Unterschied zwischen Euch, liebe Brüder und Schwestern im Holze, und den zeitgemässen Architekten. Ihr habt ein praktisches Verhältnis zum Holze und trotzdem eigentlich ein sentimentales. Die Architekten mögen in der Praxis ungelenk sein, ihr Verhältnis zum Holz aber ist poetisch. Dort, wo eure Praxis mit ihrer Poesie zusammenarbeitet, da entsteht das Neue, Zündende und Wegweisende. Und, das wollen wir nicht vergessen, meine lieben Brüder und Schwestern im Holze, da entsteht der neuerschlossene, riesige Holzmarkt, von dem wir alle träumen.

Anmerkungen:

Recherchiert von: www.texterweb.de
Entnommen aus: www.lignum.ch
"Regionalspezifische Bezeichnungen sind je nach Ort der Lesung auszutauschen..."
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